BUCHREZENSIONEN. FILMKRITIKEN. ZITATESAMMLUNGEN.

30. August 2023

WAS HAST DU IN DIESER NACHT GETAN? REZENSION "FLASHBACK" VON ANDREA BARTZ



HANDLUNG Traue niemandem. Am wenigsten dir selbst. 2009: Über den Dächern von Brooklyn feiert eine Gruppe junger New Yorker wie im Rausch. Für Lindsay endet die Party wie so oft mit einem Blackout. Am nächsten Morgen erinnert sie sich an nichts. Doch etwas Schreckliches ist passiert: Während alle feierten, hat sich ihre beste Freundin Edie wenige Stockwerke tiefer erschossen. 2019: Lindsay hat mit den Ereignissen von vor zehn Jahren eigentlich abgeschlossen. Doch dann begegnet sie einer Freundin von damals, und alte Wunden reißen wieder auf. War Edies Tod wirklich Selbstmord? Wer könnte ihr etwas angetan haben? Stück für Stück setzt Lindsay das Bild jener verlorenen Nacht zusammen. Nur ihre eigene Erinnerung lässt sie dabei immer wieder im Stich, und sie beschleicht ein grauenhafter Verdacht.

ERSTER SATZ Ich hatte wieder diesen Traum: Ich liege blutend auf dem Boden und versuche zu schreien, doch ich bringe keinen Ton heraus.

MEINE MEINUNG Den Roman “Flashback” habe ich spontan in der Bücherei gegriffen und mitgenommen, nachdem mich die Inhaltsangabe wirklich überzeugt hat. Die grundsätzliche Thematik fand ich sehr spannend und emotional ansprechend, weshalb ich mir vom Roman auch eine gewisse Tiefe erwartet hatte. Stattdessen wird hier und da zwar an der Oberfläche gekratzt, doch von “unter die Haut gehen” kann hier leider nicht die Rede sein.

TITEL Der Titel ist in meinen Augen nicht ganz passend gewählt, da die Protagonistin eher Blackouts als Flashbacks hat. Sie wird von keinen seltsamen Halluzinationen heimgesucht und kann sich oft nicht das erinnern, was sie unter dem Einfluss von Alkohol getan hat, sodass ich den Zusammenhang mit der Geschichte nicht erkennen kann. 0/2

COVER Ein an den Inhalt und den Ort des Geschehens anknüpfendes, düsteres Cover. Optisch eher nichtssagend und unauffällig. 1/3

INHALTSANGABE Die Inhaltsangabe verspricht eine wirklich spannende Geschichte zwischen Vergangenheit und Gegenwart und hat mich sofort überzeugt, diesen Thriller lesen zu wollen, von dem ich mir durch die Inhaltsangabe temporeiche Szenen und tiefgehende Gespräche wie auch schlüssige Aufklärungsversuche erwartete. 4/4

IDEE Die Idee gefällt mir grundsätzlich gut, auch wenn sie mich hier leider durch fehlende Details und Einfallsreichtum nicht wirklich überzeugen konnte. Die vor zehn Jahren verstorbene Edie soll sich vermeintlich selbst umgebracht haben. Bei einem Treffen mit ihrer damaligen Freundin Sarah wird Lindsay daran erinnert, dass Sarah, die Edie damals fand, nicht an einen Selbstmord glaubte, und macht sich selbst auf Spurensuche, nachdem der Tod ihrer besten Freundin von damals ihr keine Ruhe lässt. Als schlecht gemachte Reise durch die Zeit trippelt der Leser von Verdächtigem zu Verdächtigem. Die Idee wirkt sehr abgekupfert, zumal das Buch den Titel "Thriller" nicht wirklich verdient hat. 2/4

UMSETZUNG Lindsay scheint besessen davon, den eigentlich als Selbstmord deklarierten Fall ihrer besten Freundin Edie neu aufzurollen. Zehn Jahre ist es her, dass die gemeinsame Freundin Sarah Edie tot in ihrem Wohnzimmer gefunden hat. Zehn Jahre, in denen sich die damalige Freundesgruppe auseinandergelebt hat und jeder für sich ein neues Leben begonnen hat. Immer wieder werden die alten Zeiten thematisiert, in denen sich die damals etwa 23-Jährigen in meinen Augen eher wie aufmüpfige Teenager in der Pubertät verhalten. Die Geschichte dreht sich dauerhaft im Kreis und zahlreiche nichtssagende Dialoge ziehen die Auflösung künstlich in die Länge, die mich dann jedoch, nachdem die Autorin den Verdacht auf einen Charakter lenkt, wirklich überrascht und in Atem gehalten hat. 1/4

SCHREIBSTIL Der Schreibstil ist penetrant jugendlich und ich hatte nicht den Eindruck, die Perspektive einer Person zu lesen, die angeblich mehr als dreißig Jahre Lebenserfahrung haben soll. Anfangs fand ich den Stil sehr erfrischend und angenehm zu lesen, aber je öfter sich Sachverhalte, die bereits dargelegt waren, wiederholten, umso anstrengender wurde der Erzählstil, zumal wirklich viele inhaltsfüllende, unnötige Details eingefügt werden. Es war schwierig für mich, mir immer wieder vor Augen zu halten, dass es sich um eine Frau in ihrem Mittdreißigern handelt und nicht um einen eifersüchtigen Teenie. Der Schreibstil ist flüssig, sodass ich als Leser trotzdem an der Geschichte dranblieb. 2/5

CHARAKTERE Lindsay hat - wenn man die Abhängigkeit von Anti-Depressiva und Co weglässt - keinen wirklichen Charakter. Sie verdächtigt wirklich jeden, der im Zusammenhang mit Edie erwähnt wird, ihre beste Freundin umgebracht zu haben, obwohl die einzige Person, die ein wirkliches Motiv hat, sie selbst ist. Daher konnte sie bei mir wenig Sympathiepunkte sammeln. Auch die anderen Charaktere bleiben flach und jedes Klischee wird bedient. 1/3

GESAMTEINDRUCK Nachdem das Finale so ziemlich das einzig Überraschende an diesem Thriller war, bin ich leider nicht wirklich begeistert und bleibe etwas enttäuscht zurück. Die Inhaltsangabe hatte mir richtig Lust auf den Roman gemacht - rückblickend viel heiße Luft um Nichts. Man hätte diese Geschichte problemlos auf der Hälfte der Seitenanzahl erzählen können, ohne dass der Roman auch nur im Entferntesten im Inhalt hätte einbüßen müssen.

11/25 - Leider viel unausgeschöpftes Potenzial einer sich im Kreis drehenden Geschichte.

Wer den Roman bereits gelesen hat oder dies nicht mehr vorhat, kann gerne noch weiterlesen und sich damit vertraut machen, was ich über einige Details des Romans gedacht habe. Hier wird allerdings dementsprechend auch nicht Halt gemacht vor Spoilern.

SPOILERALARM Ich hätte mir gewünscht, dass Lindsay noch stärker den Gedanken verfolgt, dass sie selbst die Mörderin ihrer besten Freundin sein könnte: Die Hinweise, die die Autorin uns liefert, deuten in ihrer breiten Masse fast ohne Zweifel darauf hin: Linday kann sich nicht erinnern, was in jener Nacht geschehen ist, kann mit einer Waffe umgehen, kann innerlich nicht damit abschließen und hatte vor, mit ihrer vermeintlich besten Freundin Edie zu brechen. Es wirkte auf mich, als würde die Autorin den Leser auf diese Fährte locken wollen, während Lindsay selbst ihre gesamte damalige Freundesgruppe nach und nach verdächtigt. Wäre tatsächlich Lindsay am Ende schuldig gewesen, hätte ich auch das Ende sehr schlecht gefunden, weil es von Anfang an zu offensichtlich gewesen wäre.

Edie wird im kompletten Roman sowohl von Lindsay als auch allen anderen, die ein Kapitel aus ihrer Perspektive erzählen, als egoistisches Miststück charakterisiert, deren Freiheitsliebe über dem Wohl ihrer Freunde stand. Erst am Ende, nachdem klar ist, dass Tessa als Edies’ ehemalige Freundin die Mörderin ist, kommt Lindsay dann auf die Idee: Hey, eigentlich war Edie ja gar nicht so übel und konnte auch wirklich nett sein. Falls das beim Leser Mitleid erzeugen soll, hat es bei mir nicht funktioniert. Man kann nicht über fünfhundert Seiten das Bild einer Narzisstin erzeugen und dann im vorletzten Satz beiläufig erwähnen, sie sei ja eigentlich im Kern doch ein guter Mensch mit Herz gewesen.

Das Ende hat mich, wie oben bereits erwähnt, wirklich überrascht. Rückblickend frage ich mich, ob ich auf die Idee mit Tessa nur deshalb nicht gekommen bin, weil ich der Autorin nach der schwachen Leistung im Inhalt keine derartige Wendung zutraute oder tatsächlich eingelullt war von ihrer vermeintlichen Sympathie und Wärme. Über die Dauer des gesamten Romans habe ich Tessa wahrgenommen als unscheinbare Nebenfigur ohne große Aufgabe. Immer wieder wendet sich Lindsay vertrauensvoll an sie, sodass Tessa natürlich immer über alle Informationen verfügt, um ihre Freundin auf eine falsche Fährte zu locken. Im Nachhinein eigentlich relativ logisch und schlüssig, wobei sich Tessas’ Charakter dann zum Ende hin natürlich um 180 Grad dreht, als sie Lindsay ihr wahres Gesicht zeigt.

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