BUCHREZENSIONEN. FILMKRITIKEN. ZITATESAMMLUNGEN.

12. April 2023

IM FLUSS LAUERT DAS GRAUEN: REZENSION "WELCH GRAUSAME GNADE" VON CHLOE GONG

 

HANDLUNG 1926 - Shanghai pulsiert im Rhythmus der Ausschweifungen. Eine Blutfehde zwischen zwei Banden färbt die Straßen rot und lässt die Stadt hilflos im Chaos versinken. Im Zentrum des Geschehens steht die achtzehnjährige Juliette Cai, eine emanzipierte junge Frau, die die stolze Nachfolgerin an der Spitze der kriminellen Scarlet Gang werden will. Ihre einzigen Rivalen an der Macht sind die White Flowers, die die Scarlets seit Generationen bekämpfen. Jeder Schritt der White Flowers wird von Roma Montagov geplant, Juliettes erster Liebe ... und ihrem ersten Verrat. Doch als Gerüchte über eine Krankheit umgehen, die in den Wahnsinn treibt, und sich die Todesfälle häufen, müssen Juliette und Roma ihre Waffen - und ihren Groll - beiseitelegen und zusammenarbeiten. Denn wenn sie dieses tödliche Chaos nicht aufhalten, wird es keine Stadt mehr geben, die sie regieren können.

ERSTER SATZ Im strahlenden Shanghai erwacht ein Monster.
Moral war wenig wert, wenn man verhungerte.
MEINE MEINUNG Zu behaupten, dass ich mit "Welch grausame Gnade" Startschwierigkeiten hatte, ist untertrieben. Ich habe sogar überlegt, es abzubrechen, einfach weil mich die ersten fünfzig Seiten mehr gelangweilt als beeindruckt haben. Ich habe stellenweise auch in das englische Hörbuch reingehört und kann mit Sicherheit sagen, dass ich gefühlt die Hälfte nicht verstanden habe. Die Sprache und der Schreibstil waren zwei der Punkte, die gewöhnungsbedürftig waren. Aber wie sich das Ganze dann doch noch gedreht hat, lest ihr in der Rezension. 

TITEL Der Titel gefällt mir gut. Er hebt sich von anderen Büchern ab, wählt ungewöhnliche Worte und bleibt so im Gedächtnis. 2/2

COVER Das Cover ist sehr dunkel und passt auf jeden Fall gut zum Thema. Es verbirgt nicht, dass es sich um einen Fantasy-Roman handelt. 2/3

INHALTSANGABE Die Inhaltsangabe verspricht eine sehr spannende, temporeiche Geschichte in einer vielschichtigen Handlungsumgebung. Ohne zu viel vom Inhalt zu verraten, wird der Leser erfolgreich neugierig auf die Geschichte gemacht. 3/4

IDEE Es war die Idee (und vielleicht auch der Hype auf Social Media), die mich dazu angeregt hat, den Roman zu lesen. Sie ist einfach ganz anders als alles, was ich sonst so lese und hatte dadurch einen besonderen Reiz. Fantasy ist sonst nicht so mein bevorzugtes Genre - auch, weil ich mich bisher noch nie wirklich herangetraut habe. Und so kam es, dass ich besonders für die Idee ein großes Herz hatte. 3/4

UMSETZUNG Ich habe einfach bis fünfzig Seiten vor Ende den Zusammenhang mit Shakespeares' Romeo und Julia nicht verstanden. Rückblickend echt bescheuert, wenn ich mir überlege, wie intensiv wir das Stück zu Schulzeiten besprochen haben. Die Parallelen sind zwar da, aber eher unterschwellig, was ich rückblickend wirklich gelungen finde. Der Schauplatz eines Shanghais in den 1926er-Jahren hat mich zu Anfang etwas skeptisch gemacht, ist aber wirklich spannend umgesetzt. Der "Wahnsinn" und dessen Zusammenhang mit Insekten hat mich, der es beim Anblick einer Wanze schon kalt den Rücken hinunterläuft, wirklich an der ein oder anderen Stelle im Roman das Gesicht verziehen lassen. Zusätzlich fehlt es der Geschichte an Aufklärung, mit der der Leser dann aber sicherlich im Folgeband rechnen kann. 3/4

SCHREIBSTIL Der Schreibstil hat mich am Anfang wirklich gequält und es hat lange gedauert, bis ich an der außergewöhnlichen Wortwahl und den vielen gesprochenen Sprachen Gefallen gefunden habe. Als ich dann in die Geschichte hineingefunden hatte, hat es mir sogar imponiert und stellenweise wirklich total gut gefallen. Einige Zitate sind mir aufgefallen, die ich auch in einer Zitatesammlung verewigt habe. 3/5

CHARAKTERE Juliette scheut sich nicht, anzupacken. Sie ist direkt und rigoros - um nicht zu sagen unhöflich - und manchmal zu offensiv und überheblich: Ihr Selbstbewusstsein leuchtet in der Dunkelheit wie eine Signalleuchte. Chloe Gong beschreibt Juliette als vor Energie sprudelnden Hitzkopf. Unbedacht und laut ist Juliette das Gegenteil vom gleichaltrigen Roma, der, wie sie auch, Erbe einer Gang ist. Blöd nur, dass die beiden Gangs bis auf den Tod verfeindet sind. Es fiel mir schwer, Juliette wirklich zu mögen, weshalb ich dann dazu übergegangen bin, ihre Stärke und ihren Mut zu bewundern. Sicherlich nicht immer vernünftig, aber vom Herzen geleitet, lässt sie nichts anbrennen. Die Nebencharaktere waren mir etwas zu flach, besonders rund um Rosalind und Kathleen bahnt sich aber eine wirklich interessanter Konflikt an, den ich mir eigentlich nicht entgehen lassen will. 1/3

GESAMTEINDRUCK Alles in allem hat sich mein Anfangs fragliches Fantasy-Erlebnis dann noch zum Positiven gewandt und "Welch grausame Gnade" hat mich Kapitel für Kapitel mehr gefesselt, bis ich den Roman dann schließlich gar nicht mehr aus der Hand legen konnte. Der Cliffhanger zum Ende hin war wirklich gemein, sodass ich jetzt eigentlich gar nicht anders kann, als weiterzulesen.

16/25 - Ein lohnenswertes Fantasy-Abenteuer im Shanghai der Zwanzigerjahre.

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