1. Februar 2024

AUF DER SUCHE NACH UNERBITTLICHER RACHE: REZENSION "A BREATH OF WINTER" VON CARINA SCHNELL



HANDLUNG Middangard ist ein Ort uralter Magie, die Heimat von Hexen und Seherinnen. Seitdem sich die Götter aus dem gebeutelten Reich zurückgezogen haben, machen Trolle die Wälder unsicher und Walküren ziehen mordend und brandschatzend umher. Als ein gnadenloser Mörder immer mehr Hexen den Tod bringt, wird der Trupp des gefürchteten Söldnerführers Gent auf den Hexenschlächter angesetzt. Die junge Smilla schließt sich den Söldnern unter einem Vorwand an: Niemand soll wissen, dass sie eine Hexe ist und endlich Rache für die Ermordung ihrer Familie nehmen will. Während ihrer gefahrvollen Suche nach dem Mörder kommen Smilla und Gent einander näher. Doch Smilla ahnt nicht, wie dunkel das Geheimnis ist, das Gent quält …

ERSTER SATZ Lautlos segelte ein Rabe durch die klirrend kalte Winternacht. 
In diesem Moment versank die schwache Wintersonne hinter den Hügeln und nahm das spärliche Tageslicht mit sich. Nebel wand sich wie der Körper einer gigantischen Schlange zwischen den Hügeln hindurch. 

MEINE MEINUNG „A Breath of Winter“ hat mich von Anfang an gereizt. Der spannende Auftakt, in den ich in der Leseprobe lediglich kurz hineinlesen wollte, hat mich dann gänzlich überzeugt, diesen Roman lesen zu wollen. 

Vielen Dank an den Droemer Knaur Verlag für diese tolle Rezensionsexemplar!

TITEL Der Titel trifft den Nagel auf den Kopf und fügt sich gut in die Geschichte ein. 2/2

COVER Die Umschlaggestaltung ist außergewöhnlich gut gelungen. Neben zwei tollen Page Overlays gibt es im Einband eine eindrucksvolle Illustration der Wilden Jagd, wodurch die Mitglieder ein Gesicht bekommen. 3/3

INHALTSANGABE Die Inhaltsangabe vermittelt den Eindruck einer gesetzlosen Welt, in der Hexen, Walküren und andere Fabelwesen sich im bitterkalten Winter von Middangard bekriegen. Leider verrät die Inhaltsangabe aus meiner Perspektive dem aufmerksamen Leser mehr als es eine Inhaltsangabe sollte. 2/4

IDEE Die Idee gefällt mir in ihren groben Zügen gut, hier fehlen für mich allerdings diverse Hintergrundinformationen. Eine Prophezeiung und der verzweifelte Versuch, das vorhergesagte Schicksal abzuwenden, ist immer ein sehr spannender Handlungsstrang, der hier meines Erachtens nicht gänzlich ausgereizt wird. Dennoch eine sehr vielversprechende Geschichte. 3/4

Über das Feuer musterten sie einander. Der warme Schein flackerte in ihren Augen. Smillas Miene war unergründlich. Doch irgendwie war ihr Blick weicher als sonst. Immer noch herausfordernd, aber auf eine ganz andere Weise. Funken stoben aus den Flammen auf und Gent konnte nicht anders, als an letzte Nacht zu denken. An ihren Atem auf seinen Lippen, ihren Duft in seiner Nase. 

UMSETZUNG Der Aufbau des Romans gelingt mit Kapiteln aus drei Perspektiven. Sowohl Smilla als auch Gent sowie der Hexenschlächter kommen zu Wort. Die Spannung wird über die Dauer des Romans so angemessen aufgebaut und verteilt. Das Worldbuilding gelingt gut, hätte aber für meinen Geschmack gerne mehr Raum einnehmen dürfen. Die von nordischen Sagen geprägte Welt von Middangard ist klassisch gehalten, aber auch unbekanntere Fabelwesen wie Walküren, Wassergeister und Steintrolle haben ihren Gastauftritt. „A Breath of Winter“ legt den Fokus klar auf den am Ende enthüllten, viel zu vorhersehbaren Plottwist. Ich war sehr enttäuscht, dass sich meine eigenen Vermutungen allesamt bestätigten und hätte mir weniger Hinweise auf den Ausgang der Geschichte gewünscht. 1.5/4

SCHREIBSTIL Die dritte Perspektive ist für mich als Leser ganz grundsätzlich ein Buch mit sieben Siegeln. Ich empfinde es für Autoren als äußerst schwierig, mit dieser Perspektive Emotionen zu transportieren. Die Distanz, die unweigerlich mit ihr einhergeht, lässt die Gefühle fern und dadurch teilweise realitätsfremd wirken. Teilweise findet die Autorin wirklich sehr schöne Worte, um einzelne Szenen in Worte zu fassen und umschreibt fast poetisch. 2.5/5

Er wollte glauben, dass seit jenem Abend in den Hügeln ein unausgesprochenes Einverständnis zwischen ihnen herrschte. Ein Austausch von Schmerz, so intim, dass der Moment sie beide überwältigt hatte.

CHARAKTERE Smilla erlebte ich als von Mut getriebene, junge und starke Frau, deren Rachsucht sich im Laufe des Roman als verzweifelter Wunsch entpuppt, neuen Lebenssinn zu finden. Sie verliebt sich in den rauen Gent ungeachtet aller Schwierigkeiten und er gibt ihr keinen Grund, ihm zu misstrauen. Ihre Macht als Hexe setzt sie nur ein, um sich zu heilen oder zu verteidigen, trifft gute und richtige Entscheidungen. Ihr Charakter ist sehr gelungen.

Mit Gent wurde ich nicht so recht warm, sein Charakter war für mich in Summe einfach nicht rund. Seine inneren Überzeugungen und Handlungen scheinen sich zu widersprechen. Die Liebesgeschichte entfaltet sich quälend langsam. Gleichzeitig fühlt es sich eher an wie eine ausschließlich körperliche Spannung, da die beiden Protagonistin besonders anfangs kaum miteinander sprechen, geschweige denn über Emotionen. Der Fokus der Autorin liegt klar auf Smillasˋ Verbindung mit dem Befehlshaber der Söldnertruppe, die fehlende Kommunikation mit dem Rest der Wilden Jagd erklärt ihren fehlenden Zuspruch und die von ihr vermisste Zugehörigkeit. Die sexuelle Spannung ist ein nettes Zubrot für diesen slow-paced Fantasy-Roman, die wenigen Intimszenen sind zwar kurz gehalten und mögen keinen Preis für Fantasie gewinnen, sind aber wunderschön geschrieben und beweisen das entstehende Vertrauen zwischen Smilla und Gent. Beide sind verzweifelt auf der Suche nach einem sicheren Hafen und wenden sich einander verhältnismäßig schnell zu. Im Laufe des Romans werden die Hintergrundgeschichten der anderen Mitglieder der Wilden Jagd stückweise aufgedeckt, alles in allem bleiben die anderen Charaktere jedoch eher flach. 1/3

FAZIT Ich konnte dieses spannende Buch trotz der eher langsam voranschreitendem Handlung kaum aus der Hand legen und habe es in einem Rutsch durchgelesen. Für mich ein durchaus gelungener Roman, deren Handlung sich in wenigen Sätzen zusammenfassen lässt. Der Fokus der Autorin liegt auf dem finalen Plottwist, der meiner Meinung nach eher vorhersehbar ist. 

15/25 - Eine gelungene Interpretation der klassischen Heldenreise. 

SPOILERALARM Du hast das Buch bereits gelesen und bist gespannt, wie ich die Plottwists bewerte? Oder du hast kein Interesse, den ganzen Roman zu lesen und hast keine Angst davor, in den folgenden Absätzen gespoilert zu werden? Dann lies gerne weiter!

Die Enthüllung von Gent als Hexenschlächter als Höhepunkt der Geschichte war sehr vorhersehbar, hier hätte Carina Schnell den Leser nicht so offensichtlich auf die richtige Fährte führen müssen. Spätestens nach der von Óinn erzählenden „Legende“ über den Waisenjungen, der herausfindet, dass er ein Wyrd ist, war die Identität von Gent überdeutlich. In den darauffolgenden Kapiteln, die perspektivisch dem Hexenschlächter zuzuordnen waren, bräuchte es schon eine große Portion Ahnungslosigkeit, um die mit Leuchtschildern und mit Marktschreiern angeprangerten Hinweise auf den Fortgang der Handlung nicht zu verstehen. 

Dennoch bleibt auch nach der Enthüllung die große Frage, wieso sich der angeblich eiskalte Gent über die Dauer des Romans so versöhnlich zeigt. Vom angeblichen „Herr der Unterwelt“ hätte ich mir mehr erwartet. Er scheint innerlich völlig zerrissen und besessen von der Prophezeiung der Seherin, dass eine Hexe ihm den Tod bringen wird. Er macht Jagd auf harmlose, friedlich lebende Hexen und tötet völlig wahllos - für mich ein großes, logisches Fragezeichen. Dass Smilla ihm im Angesichts des Todes dem Mord an ihrer Familie vergeben kann, fand ich moralisch ebenfalls sehr fragwürdig. Ich verstehe: Gent ist unfassbar gutaussehend, ein Kämpfer, der sich für seine Familie opfert- aber er hat auch unzählige Hexen völlig grundlos ermordet. Einerseits scheint er nicht an Götter zu glauben, warum dann an Prophezeiungen von vermeintlichen Seherinnen? Sein Charakter ist und bleibt für mich bis zum Schluss nicht schlüssig. Ihn einen Heldentod sterben zu lassen hat für mich ein falsches Zeichen gesendet.

Böse formuliert passiert in diesem Roman nach zwei spannenden, ersten Kapiteln vergleichsweise wenig: Sie reiten durch die Gegend, werden ein paar Mal angegriffen, Smilla und Gent nähern sich an, sie reiten weiter, werden wieder angegriffen, die große Enthüllung und Ende. Für mich war die etwas langsame Geschwindigkeit nicht unbedingt störend. Der tolle, eloquente Schreibstil mit Liebe zum Detail hat das für mich definitiv wieder wettgemacht. Einige kleinere Logikfehler sind für mich verzeihlich. 

Einen zweiten Band hätte es in meinen Augen nicht gebraucht. Der Ausblick auf einen wieder auferstandenen Gent sind für mich ebenso wenig verlockend wie eine slow-paced Jagd auf die bösartig gewordenen Walküren, deren Angriff im ersten Teil einzig und allein der Dramaturgie zu dienen schien.

Gespräche mit Smilla waren von Anfang an wie ein Seiltanz gewesen. Jedes Wort, jede Bewegung konnte einen Sturz in die Tiefe nach sich ziehen. Oder einen unerwarteten Höhenflug.

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