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23. Oktober 2023

ABGESCHOTTET IN DER WILDNIS NORWEGENS: REZENSION „DARK WOOD“ VON THOMAS FINN


HANDLUNG Die Schauplätze: Norwegens undurchdringliche Wälder. Ein unheimliches Höhlensystem. Ein geheimes Militärlager aus dem Zweiten Weltkrieg mit Forschungslabor. Ein uraltes Wikingergrab. Die Charaktere: sechs Angestellte einer Hamburger Werbeagentur, vier Männer, zwei Frauen, die sich nicht besonders mögen. Das TV-Team einer neuen Reality-Show. Ein Verräter. ETWAS, das in den Wäldern lauert: uralt, grausam – und ansteckend!

ERSTER SATZ Survive! Kämpft um euer Überleben!

MEINE MEINUNG Den Horrorthriller „Dark Wood“ hätte ich von mir selbst aus vermutlich nie in die Hand genommen. Es war der in meinem Buchclub angenommene Vorschlag. Ich hatte vorher etwas Angst, dass mir der Inhalt mental auf den Magen schlagen würde – einen „Horrorthriller“ hatte ich zuvor noch nie gelesen. 

TITEL Der Titel ist wenig aussagekräftig und ist auch eher langweilig, wenn man den Inhalt einbezieht. 0/2

COVER Das Cover ist ebenso wie der Titel nicht sehr besonders. Erst später ist mir der Totenschädel im Hintergrund aufgefallen, sodass ich hier dann doch überrascht war und einen Punkt vergebe. 1/3

INHALTSANGABE Die Inhaltsangabe ist gut geschrieben und verrät, bis auf die Tatsache, dass es ein unterirdisches Höhlensystem gibt, nur das Nötigste. Es wird nicht angesprochen, welche Gefahr die Kollegen womöglich erwartet. 3/4 

IDEE Die grundsätzliche Idee hat mich angesprochen. Das Format von Reality TV in Buchform aufzugreifen, ist spannend und gut gelungen. „SURVIVE“ lautet der Name der Show, in der die Mitarbeiter einer von Insolvenz bedrohten Firma das Weiterbestehen ihres Arbeitgebers durch den Gewinn von 500.000 Euro sicherstellen können. Eine kreative Idee, die dann in den norwegischen Wäldern ausgefochten und um interessante Handlungsstränge ergänzt wird. 4/4 

UMSETZUNG Ich muss dem Roman zugestehen, dass er mich von Seite eins an durchweg gut unterhalten hat. Die Spannung wurde gelungen aufrecht erhalten, auch wenn es den Charakteren teils wirklich einfach gemacht wurde, wenn ein „Problem“ auf den Plan trat. Der Roman spielt an drei aufeinanderfolgenden Tagen, sodass der Leser die Charaktere quasi auf jedem Schritt begleitet. 3/4

SCHREIBSTIL Der Schreibstil war durchschnittlich und verzichtete auf große Gefühlsausbrüche. Meist wird ein Charakter und dessen Perspektive in den Vordergrund gerückt. Die Erzählperspektive ist nicht allwissend, sodass gewisse Geheimnisse durchaus im Dunkeln bleiben. 3/5 

CHARAKTERE Die Charaktere entsprachen Klischees und blieben eher flach. Die Vorstellung im Rahmen der Kennenlernrunde der Show war überladen und für ein erstes Kapitel absolut ungeeignet. Sören wird als übergewichtiger Mann mittleren Alters vorgestellt. Seine Kollegen hacken wie Jugendliche auf seinem Gewicht herum – was auch nötig zu sein scheint, denn er hat von seinem Übergewicht abgesehen absolut keinen Charakter. 1/3 

GESAMTEINDRUCK Die zwischenmenschlichen Konflikte, die teilweise wirklich spannend verknüpft sind, überlagern das Horrorelement des Romans klar. Wer sich eine Gruselgeschichte erwartet, wird mit „Dark Wood“ enttäuscht zurückbleiben. Als langsames Herantasten an das Genre eignet es sich in meinen Augen hingegen gut. Es war kein absolutes Meisterwerk, aber hat mir dennoch spannende Lesestunden beschwert, die ich fast durchweg genossen habe. Der Roman ist gelungen konzipiert. 

15/25 – Beeindruckende Anzahl an Komponenten, die zu einer gelungenen Geschichte wird. 

SPOILERALARM Dieser Artikel befasst sich kritisch mit den Inhalten des Romans und enthält Spoiler. Bitte beachte, dass die Meinung in diesem Blogartikel individuell ist und auf meiner persönlichen Einschätzung basiert. Literaturgeschmack ist subjektiv, und andere Leserinnen und Leser können und werden den Roman anders wahrnehmen.

Anfangs dachte ich, dass der Horror und der Schrecken, denen die Kollegen ausgesetzt sind, vielleicht doch daher rührt, dass es ein Teil der Reality TV Show ist, für deren Teilnahme sie sich entschieden haben. Damit tappte ich gehörig im Dunkeln. Stattdessen wurde in mir der Gedanke laut, dass ich den nicht vorhandenen Kollegenzusammenhalt wirklich ätzend fand. Wenn in der Dunkelheit des Waldes Todesgefahr lauert, würde man es dann wirklich nicht auf die Reihe bekommen, sich zumindest für drei Tage zu arrangieren? Der Fakt, dass die Charaktere überhaupt schlafen konnten, während einer der verhassten Kollegen Wache hielt, fand ich durchaus beunruhigend. 

Die tote Crew wurde für meinen Geschmack zu früh gefunden. So war den Teilnehmern der Show sofort klar, dass jemand im Wald sein Unwesen treiben muss. Die Info hätte Thomas Finn dem Leser etwas länger verschweigen können. 

Die mysteriösen Grabräuber, die norwegischen Camper, versuchen, die Kollegen der Medienagentur zu töten, aber einen wirklichen Grund dafür gibt es nicht. Wer schlau kombiniert, kommt zu dem Schluss, dass sie sich vielleicht bedroht fühlen und das Gold, das sie suchen, selbst finden wollen. Aber dafür jemanden umbringen? Das hat mir nicht unbedingt eingeleuchtet. 

Dass Sören durch den Sturz in den Bach nicht gestorben ist, war eigentlich von Anfang an klar. Dagmar und Katja sind für zwei Sekunden bestürzt und beschließen dann, dass sie keine Zeit haben, ihren Kollegen zu betrauern. Im perfekten Moment taucht Sören dann auf, haut Bernd in die Pfanne und fragt, ob jemand etwas zu Essen hat. 

Den Tod von Katja habe ich eher als Mittel zum Zweck empfunden, um dem Leser einen Schock zu verpassen. Ihr unfreiwilliges Outing als Transsexuelle fand ich einen spannenden Aspekt im Hinblick auf Repräsentation. Leider wurde dann aber kein Schuh daraus: abgesehen von gelegentlichen Beleidigungen seitens Lars, der Katja zuvor noch als heiße Braut empfand, spielt keine Rolle. Zudem scheint der Autor sich weder wirklich informiert zu haben noch Kontakt zu Transsexuellen zu pflegen, so denkbar schlecht war die Darstellung. 

Die Auflösung am Ende des Romans war für mich unerwartet und schlüssig zugleich. Dennoch wurde es dann geschichtlich wirklich wild: von Nazis über Briten und den Norwegischen Widerstand hin zu einem alten Wikingerschiff und einem untoten Berseker, der von einer Schimmelschicht überzogen war. Hier hat der Autor definitiv viel Fantasie bewiesen. 

Dass Lars am Ende vom Autor als Sündenbock für alle offenen Handlungsstränge ausgewählt wird, wirkt etwas an den Haaren herbeigezogen. So soll er die Firmenkreditkarte gestohlen und Bernds‘ Frau Alexa geschwängert haben. Dass die graue Maus Dagmar am Ende ausgerechnet Lars, den sie selbst im Angesichts des Todes noch angehimmelt hat, den Schimmelpilz in die Wunden kippt und so sein Schicksal besiegelt, war unerwartet und weit hergeholt, nachdem sich ihr Selbstbewusstsein nur mäßig besserte. Dennoch ist man als Leser beruhigt, dass der Mistkerl nicht weiter sein Unwesen treiben kann. Die Gefahr, die jedoch in dem Moment für den Rest der Gesellschaft entsteht, da eine Ansteckung über offene Wunden möglich ist, wird nicht weiter thematisiert. 

Ganz grundsätzlich hat mir die Bezeichnung der infizierten Menschen, die ja dann offenbar zu schmerzunempfindlichen, schimmelüberzogenen Wesen werden, nicht gefallen. Unter einem „Troll“ stelle ich mir dann doch etwas anderes vor.

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