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26. Oktober 2023

TOXISCHE, ANZÜGLICHE STORY OHNE JEDE SPANNUNG: KRITISCHE REZENSION “ICEBREAKER” VON HANNAH GRACE

 

HANDLUNG Seit ihrer Kindheit träumt Anastasia Allen davon, es ins Team USA und somit zu den Olympischen Spielen zu schaffen, und dank ihres Stipendiums an der University of California sowie eines strengen, aber perfekten Zeitplans ist die Eiskunstläuferin ihrem Traum so nah wie noch nie. Doch plötzlich muss eine der wenigen Eissporthallen des Campus geschlossen werden, und kurz darauf fällt auch noch Anastasias Eiskunstlaufpartner aus. Völlig unerwartete bietet ausgerechnet Nathan Hawkins, der beliebte und äußerst attraktive Captain des Eishockeyteams, ihr an, für diesen einzuspringen. Anastasia stimmt dem Angebot zu, doch sie kann sich keine weiteren Ablenkungen leisten - vor allem nicht in Form ihres neuen Partners, der ihr Herz mit jedem noch so kleinen Lächeln schneller schlagen lässt ...

ERSTER SATZ "Noch mal, Anastasia!"

MEINE MEINUNG Es ist wirklich frustrierend, wie viele Romane ich in diesem Jahr gelesen habe, die meine Erwartungen nicht einmal im Ansatz erfüllen konnte. Auch die Geschichte von Nate und Anastasia sollte dabei keine Ausnahme bleiben. Eiskunstlauf fasziniert mich und auch Eishockey kann ich etwas abgewinnen, die Kombination ist natürlich sehr verlockend. Die Umsetzung war jedoch so langweilig und schlecht, dass ich mich regelrecht zwingen musste, den Roman zu Ende zu lesen.

SPOILERWARNUNG Dieser Artikel befasst sich kritisch mit den Inhalten des Romans und enthält Spoiler. Bitte beachte, dass die Meinung in diesem Blogartikel individuell ist und auf meiner persönlichen Einschätzung basiert. Literaturgeschmack ist subjektiv, und andere Leserinnen und Leser können und werden den Roman anders wahrnehmen. 

Das Anfangs toxisches Verhältnis zwischen Nate und Anastasia intensiviert sich über die Dauer der gesamten Geschichte. Jegliche Nähe entsteht im ersten Drittel nur, wenn mindestens einer von beiden alkoholisiert ist. Darüber hinaus überlagern intensive, langgezogene körperliche Szenen die Geschichte. Die Handlung bleibt leider auf der Strecke. Das ist mit mein größter Kritikpunkt: Obwohl die Story grundsätzlich wirklich clever mit einem Kennenlernen der Protagonisten beginnt, lassen sich die Ereignisse über den gesamten Roman in wenigen Sätzen zusammenfassen.

Der Schreibstil ist durchschnittlich - angenehm zu lesen, aber kein Ausnahmetalent, das mich von Anfang an überzeugen konnte. Die Erzählperspektive wechselt mit jedem Kapitel, hat aber nicht wirklich einen erkennbaren Grund. Beide Protagonistin streben eine Profisport-Karriere an, aber betrinken sich jedes Wochenende bei vermeintlich wilden Partys. Von Athleten in einem Leistungszentrum, die die Teilnahme bei den Olympischen Spiele anstreben, würde ich doch etwas anderes erwarten.

Wirklich viel Eiskunstlauf oder Eishockey gibt es nicht - im Gegenteil: Man könnte ein Trinkspiel daraus machen, bei jeder anzüglichen Bemerkung einen zu trinken, und wäre nach zwanzig Seiten in der Horizontalen. Auch Anastasias’ Körper scheint für die gesamte Eishockey-Mannschaft so attraktiv, dass Kommentare nicht ausbleiben. Glücklicherweise hat sie außergewöhnliche Charaktereigenschaften: volle Lippen, sie ist wunderschön, und hält mit ihrer Meinung nicht über dem Berg. Während letzteres zumindest im Ansatz interessant sein könnte, ist Anastasia meistens eher gemein als direkt und ehrlich.

Nathaniel ist ein Playboy, der vorgestellt wird, nachdem er völlig verkatert neben einer Frau aufwacht, die für den Rest des Romans nicht mehr vorkommt. Er kann sich an die gemeinsame Nacht nicht erinnern und schwört, sich verändern zu wollen. Gar nicht so einfach als gutaussehender Kapitän der Eishockeymannschaft, der jegliche Frauen wie Licht die Fliegen anzuziehen vermag. Seine gottgleiche Attraktivität wird des Öfteren erwähnt. Er hätte seine freie Zeit mit Anastasia lieber “in ihr” verbracht, anstatt sich mit dem Kennenlernen ihrer Persönlichkeit herumzuschlagen.

Ryan wird als guter Freund von Anastasia vorgestellt, der mit ihr hin und wieder anbändelt - just for fun. Ohne prüde klingen zu wollen, erscheint mir die Einführung von Anastasias’ Charakter in dem Zusammenhang fragwürdig - wo sie sich doch später vermeintlich seelenverbunden mit Nate fühlt.

Sprechen wir über Aaron, Anastasias’ eigentlichen Eiskunstlauf-Partner, der sich sehr übergriffig verhält. Nicht genug, dass er das Essverhalten seiner Freundin anprangert, kommentiert und kontrolliert, nein, sondern er lügt ihr auch dreist ins Gesicht - und der Grund dafür ist an den Haaren herbeigezogen. Aaron ist verdammt arrogant, toxisch und verhält sich wie das letzte Arschloch. Keine Ahnung, wie Anastasia diesen Kontrollfreak ertragen hat ohne seine Stimmungsschwankungen in Frage zu stellen.

Ein Lichtblick ist, dass Ryan und Nate Anastasia dabei unterstützen, zu einem gesunden Essverhalten zurückzufinden und sie - im Gegensatz zu Aaron - nicht spüren lassen, sie sei zu kräftig, um beim Eiskunstlaufen eine Hebefigur durchführen zu können. Das Thema wird zur Mitte des Romans hin immer präsenter, aber die Ausarbeitung ist auch nicht wirklich gelungen, sodass es ein Versuch bleibt, dem Thema Raum zu geben.

Mir scheint, als würden sich viele Leser blind dem Hype um einen Roman anschließen, ohne die Handlung im Gesamten je in Frage zu stellen. Dass es sich hierbei um die detaillierte Beschreibung einer toxischen, mehr körperlichen Beziehung handelt, scheint vielen Rezensenten wie ausgegraut. Die Beschreibung des vermeintlich verwendeten Trope, die auch bei diversen Anbietern für Belletristik angegeben wird: Grumpy meets Sunshine. Davon habe ich nur wenig gemerkt, vor allem wenn Anastasia, die manchmal fast pedantisch perfektionistisch ist, in diesem Szenario "Sunshine" darstellen soll.

Anastasias’ Ton gegenüber Nate ist von Anfang an abwertend. Die zwanghafte Enemies-to-Lovers-Romanze bietet dabei gründlich Anlass für Fremdscham. Wenn ich überlege, was mir am Roman gut gefallen hat, bleibt mein Kopf ziemlich leer. Die zahlreichen Smut-Szenen haben mir den Inhalt des Romans verdorben, sodass ich bei Weilen überlegte, das Buch sogar abzubrechen. Stattdessen habe ich die Szenen irgendwann übersprungen, weil die Anzahl einfach komplett übertrieben war und die gesamte Handlung überschattet haben. Die in der Inhaltsangabe angedeutete Handlung startet erst nach einem sehr langen, halben Roman und ließe sich in wenigen Sätzen abhandeln. Insgesamt war das Buch ermüdend und langweilig.

Der Epilog hat den Roman dann endgültig in den Abgrund gestoßen. Nachdem im Roman mehrfach betont wird, dass es für Leistungssportler ja eine absolute Schande sei, versehentlich in jungen Jahren schwanger zu werden, passiert genau das. Als „Entschuldigung“ kauft Nate Anastasia einen Range Rover. Ich bezweifle, dass es sich dabei um sein eigenes Geld handelt. Während Stassie vorher noch betont, kein eigenes Kind bekommen zu wollen, da es ihr ja ihre Figur ruinieren und so die Chance auf olympisches Gold nehmen könnte. Aber zumindest diesen Punkt kann sie auf der Liste abhaken, denn natürlich hat sie bei den Olympischen Spielen die Goldmedaille gewonnen.

Die Geschichte an sich hat jedes Potenzial verschwendet, es sei denn, man betrachtet den gesamten Roman als schlecht gemachte Enemies-to-Lovers Romanze mit Augenmerk auf körperliche Nähe. Die vermeintliche Liebe, die beide Charaktere beschreiben, habe ich keinem abgenommen. Wenn man den Vergleich zu einer gesunden Beziehung heranzieht, habe ich große Zweifel, dass sie so aussehen soll, wie Hannah Grace sie in „Icebreaker“ beschreibt.

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