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26. Juli 2023

NICHT WIE ERWARTET: EINE KRITISCHE REZENSION DES ROMANS "DER SOMMER, ALS ICH SCHÖN WURDE" VON JENNY HAN


Vorfreude auf einen besonderen Sommer
Die fünfzehnjährige Belly ist voller Euphorie auf den vor ihr liegenden Sommer, den sie mit Salzwasser in den dunklen Haaren und der Brise des Meeres in der Nase sehnsüchtig erwartet hat. Schon seit ihrer Geburt verbringt sie mit ihrer Familie jeden Sommer im Strandhaus der Fishers in Cousins Beach. Doch dieser Sommer wird der erste Sommer sein, in dem die beiden Brüder Jeremiah und Conrad Fisher sie nicht nur als die kleine Schwester ihres älteren Bruders Steven wahrnehmen, sondern als echtes Mädchen. 

Leider wurde ich von Jenny Hans "Der Sommer, als ich schön wurde" herb enttäuscht. Bereits im Jugendalter habe ich diesen Roman gelesen und in positiver Erinnerung behalten, doch heute, nachdem einige Jahre ins Land gezogen sind, bin ich erschüttert über die den fehlenden Tiefsinn dieses Romans. 

Disclaimer 
Dieser Artikel befasst sich kritisch mit den Inhalten des Romans und enthält Spoiler. Bitte beachte, dass die Meinung in diesem Blogartikel individuell ist und auf meiner persönlichen Einschätzung basiert. Literaturgeschmack ist subjektiv, und andere Leserinnen und Leser können und werden den Roman anders wahrnehmen. 

Zarte Liebe oder jugendlicher Leichtsinn: Ein Blick auf die romantischen Beziehungen im Roman 
Im Alter von zwölf Jahren erlebt Belly ihren ersten Liebeskummer, als Conrad sie, entgegen ihrer Hoffnungen, nur mit zur Strandpromenade nimmt, um ein anderes Mädchen an einer der Buden kennenzulernen. Selbstlos greift Belly die Situation beim Schopf und macht Conrad und seine Angebetete bekannt, ehe sie sich stumm weinend davonmacht. Als Leser empfindet man Sympathie für dieses junge Mädchen, das sich selbstlos ihre eigenen Gefühle wegzustecken scheint. Die eigentliche Geschichte, die mit einigen Rückblenden wichtige Momente der vergangenen Sommer unterstricht, spielt jedoch in dem Sommer, in dem Belly 16 Jahre alt wird. 

Die widersprüchliche Figur Conrad Fisher 
Ein ganzes Leben lang hat Isabel, genannt Belly, Conrad vergöttert. Und auch in diesem Sommer ist es nicht anders: bereits bei der Ankunft in Cousins Beach freut sie sich auf ihn, dabei ist er, gelinde gesprochen, ein ganz schöner Stinkstiefel. Sein Verhalten ihr gegenüber ist unerträglich. Er nutzt jede Gelegenheit, um ihren Selbstwert mit abschätzigen Kommentaren zu untergraben und dennoch schmachtet Belly ihn an wie Taylor-Swift-Fans ihr großes Idol. Conrads’ Umgangston ist herablassend. Wenn er mit Belly spricht, schafft er es nicht, von seinem hohen Roß herunterzusteigen, stattdessen behandelt er sie sowohl auf Partys als auch im Strandhaus wie ein unliebsames Anhängsel. Dass er sie vor Alkohol und Drogen beschützen will, wirkt im Anbetracht der Tatsache, dass er kein Problem damit zu haben scheint, vor ihr zu rauchen oder trinken, unrealistisch. Beweisstück B ist dieser Auszug aus dem Roman: 
„Ich hatte ein einziges Bier“, fuhr Conrad mich an. „Warte eine halte Stunde, dann fahre ich dich. Und jetzt hör auf, dich wie eine verzogene Göre aufzuführen.“ (Seite 106). 
Love me a good Umgangston. 

Conrad ist ein Einzelgänger, kapselt sich von Belly, Steven und Jeremiah ab. Er hat, auf den Leser zunächst ungerechtfertigt wirkende Launen, die ihn unerreichbar scheinen lassen. Belly lässt den Leser das in dem Moment wissen, in dem Conrad die wackelige Bühne namens Cousins Beach betritt, deren Potenzial als kleines Küstenstädtchen komplett ausgelassen wird: „Conrad war eineinhalb Jahre älter als Jeremiah. Er war der düstere Typ, richtig finster. Und natürlich nicht greifbar. Unerreichbar. Er verzog immer leicht spöttisch den Mund, und irgendwie musste ich dauernd darauf starren. Diese spöttisch verzogenen Münder will man immer küssen, will sie glatt streichen und den Spott wegküssen.“ 

Bellys verzwicktes Dilemma zwischen Freundschaft und Liebe 
Will Belly nun Conrad oder Jeremiah küssen? Nun, muss sie sich denn entscheiden? Der Leser darf, wie bei einem guten Tennismatch, den Kopf hin und her wenden, denn Belly entscheidet sich derart oft um, wen von den beiden Brüdern sie nun liebt und als echten Freund betrachten kann, dass es einem regelrecht schwindelig wird. Aber einen von beiden muss sie nehmen, denn Susannah, die Mutter der beiden, hat ihr einmal gesagt: „Belly, du hast meinen Segen, ein für alle Mal. Ich fände es furchtbar, meine Jungs an eine andere zu verlieren.“ 

Jokes on you, Susannah. Denn statt des love triangles, das man als Leser erwartet und vielleicht, mit viel Geduld, ihrem jugendlichen Leichtsinn zusprechen könnte, kommt noch ein Junge ins Spiel. Cameron, genannt Cam, studiert in seiner Freizeit Wale und erinnert sich noch aus Vorjahren von einem Latein-Wettbewerb an Belly. Als einziger scheint er ihr gegenüber echte, ehrliche Intentionen zu haben und schießt nicht direkt übers Ziel hinaus, sondern lässt es langsam angehen. Scheinbar zu langweilig für Belly, denn sie lässt ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. Cam ist in dieser Geschichte gleichermaßen Lückenbüßer, um die Seiten zu füllen, als auch Mittel zum Zweck. Belly nutzt jede Gelegenheit, um Conrad mit Cams’ Anwesenheit eifersüchtig zu machen. Als Cam Belly am Ende auf die Mailbox spricht und sie bittet, ihn zurückzurufen, dass sie sich ein letztes Mal treffen können, ruft Belly nicht mal zurück, sondern „lässt die Sache auf sich beruhen“. Dafür, dass sie es kaum erwarten konnte, von Cam geküsst zu werden und mit ihm nackt im Meer zu baden, ganz schön gefühlskalt. Aber mein viel größerer pain point dabei ist, dass Cam sich von ihr ausnutzen lässt und selbst nicht genügend Würde besitzt, um, nachdem er bemerkt und Belly sogar darauf anspricht, dass sie mit ihm Conrad eifersüchtig machen will, trotzdem noch nicht die Flucht ergreift. 

Jeremiah gibt mir als Leser teilweise noch kurz ein gutes Gefühl, zum Beispiel, als er Belly zugesteht, dass clevere, selbstbewusste Mädchen ihm deutlich lieber sind als als hilflose. Das macht er aber zugleich zunichte, weil er dann ein „Taylor wusste genau, was sie tat, denn Küssen konnte sie gut“ (Seite 76), hinterher schiebt. Er macht Belly aus dem Nichts eine Liebeserklärung, die Belly aber ziemlich kalt ist, immerhin ist für sie klar: „Immer schon war es Conrad gewesen, nie hatte ich Jeremiah ernsthaft in Betracht gezogen, nicht mit Conrad in der Nähe.“ Simpatico - wenn es Conrad nicht gäbe oder er nicht zur Wahl stünde, dann wäre Jeremiah eventuell eine Option? Als Leser wirkt es, als würde Jenny Han zwanghaft versuchen, den Leser auf Jeremiah einzuschießen: „Jeremiah dagegen - er war mein Freund. Er war nett zu mir. Er war der Typ Junge, der noch immer seine Mutter umarmte und der noch immer ihre Hand hielt, auch wenn er theoretisch zu alt dafür war.“ 

Herzlichen Glückwunsch, Belly. Von dem Mädchen mit Hornbrille hast du es geschafft, Brüste zu bekommen und fühlst dich jetzt wunderschön - und drei hormongesteuerte Jungs, von denen dich vorher einer nicht gekannt und zwei andere ignoriert/beleidigt/belächelt haben, sind jetzt hinter dir her. Von allen drei „zur Auswahl“ stehenden Jungs ist die Wahl eigentlich ziemlich einfach und klar, vorausgesetzt, man steht nicht darauf, gedemütigt und ausgeschlossen zu werden. 

Reife oder Naivität: Bellys’ Suche nach Zugehörigkeit 
„Kinder“, nennt Susannah die Teenager im Sommerhaus in Cousins Beach. Belly beschreibt, dass sich das so anfühlt, als liege ihr ganzes Leben noch vor ihr. Doch in diesem Sommer will Belly dazugehören: „Steven, wenn du mich nicht mitnimmst, erzähl ich es Mom“, droht Belly Szene ihrem älteren Bruder. Die Szene zeigt überdeutlich die schwierige Phase, die sie durchmacht. Während ein Teil von ihr förmlich danach schreit, reif sein zu wollen, in Conrad verliebt ist und verzweifelt Teil der Gruppe will, steckt der andere Teil noch gänzlich in den Kinderschuhen und spiegelt ihre mangelnde Durchsetzungskraft. 

Bellys’ Charakter war für mich von Seite zu Seite schwieriger zu ertragen. Mit ihren Kommentaren schießt sie sich selbst ins Aus: „Ich war froh, dass ich ihm den Abend verdorben hatte“ (Seite 110). Während ich sie anfangs noch kurz darum bedauerte, eine graue Maus zu sein, die sich aufgrund ihrer Schüchternheit eher im Hintergrund zu halten scheint, weicht dieses Mitgefühl ziemlich schnell, als sie die Jungs wechselt wie Unterhosen und gleichzeitig ihre „beste Freundin“ für dasselbe Verhalten verurteilt. 

Zwischen Neid und Verachtung: Die Schattenseiten der ungesunden Freundschaft 
Taylor ist genau die Freundin, die kein Mensch braucht. Belly steht in ihrem Schatten und während Taylor mit aufreizendem Bikini Conrad für sich zu gewinnen versucht, wird deutlich, dass Belly darauf gut verzichten könnte. Taylors’ glänzendste Fähigkeit scheint ihre Oberflächlichkeit zu sein. Wenn sie nicht gerade über Bellys’ Dekolleté spricht, sie anstachelt, sich was Kurzes und Aufreizendes anzuziehen, dann macht sie sie vor ihrem Bruder, Conrad und Jeremiah lächerlich. Ihre größte Sorge scheint zu sein, dass Belly vom Schwimmen ein zu breites Kreuz bekommt und dann unattraktiv auf die Männerwelt wirken könnte. Sie nimmt sich ohne Rücksicht auf Verluste das, was sie haben will. Auch dann, als sie mit Bellys’ Bruder Steven am Strand herumknutscht. Dabei war sie doch eigentlich an Conrad und Jeremiah interessiert… Aber vielleicht liegt es ja in der Natur der beiden Mädchen, dass ein Junge oder zwei Jungen einfach nicht genügen. Ich muss Belly zu Gute heißen, dass sie in einer Szene Taylor für einen kurzen Moment die Hölle heiß macht und kurz davor ist, für sich selbst einzugestehen. Weniger stilvoll beleidigt sie ihre beste Freundin dabei als „Schlampe“ (Seite 169). 

Steven who? 
Dann ist da noch die Beziehung zu Bellys’ Bruder Steven. Besonders viel erfährt man nicht darüber, wenn wir davon absehen, dass Steven Belly zu schikanieren weiß und seinen Altersvorteil gerne ausnutzt. Für einen Großteil des Romans ist er nicht mal anwesend, stattdessen tourt er mit Bellys’ Vater durch die Staaten und besichtigt Colleges. 

Eine verpasste Chance: die ungehörte Geschichte von Laurel und Susannah 
In sehr knappen Kapiteln und einem einfachen, kindlich wirkenden Schreibstil bleibt auch das einzig interessante, nämlich die Verbindung von Laurel und Susannah, auf der Strecke. Susannah Fisher und Laurel (ja, wir erfahren ihren Nachnamen tatsächlich nicht) verbindet eine ganz besondere Freundschaft: mit zarten neun Jahren lernen sie sich kennen. Die Geburt der Kinder hat ihre Freundschaft gestärkt und auch die weite Distanz, die die beiden während des Jahres trennt, kann diesem Bund fürs Leben nichts anhaben. Laurel wirkt sehr eigenständig. Sie hat den Mut, ihr Leben beim Schopf zu packen und ist gleichzeitig schrecklich vernünftig. Mit Susannah als Mutter haben die Jungs total Glück, findet Belly. Susannah ist weniger streng, nicht so verklemmt. Mit ihr kann man einfach Spaß haben. Könnte man zumindest, würde es ihr nicht die ganze Zeit ständig schlecht gehen: Sie geht früh zu Bett, hat kaum Appetit und will zwanghaft den perfekten Sommer erleben. So ist es auch keine große Überraschung, als ihre weit vorangeschrittene Krebserkrankung offenbart wird. Statt eines großen Knalls ist es eher ein letzter, gescheiterter Versuch, der Geschichte emotionale Tiefe einzuhauchen. 

Leere Worte, die den Roman ausbremsen 
Statt mitreißender Sommermomente erwartet den Leser hier eine vor sich hin plätschernde, monotone Geschichte, die nur oberflächlich das Thema Selbsterkenntnis und Erwachsenwerden berührt und dabei mit stereotypen Charakteren auskommen muss. Emotionale Resonanz Fehlanzeige. 

Ich freue mich auf konstruktiven Austausch in den Kommentaren. Wer hat den Roman bereits gelesen und hat ähnlich empfunden? Oder ganz anders und warum?

1 Kommentar:

  1. Was für eine tolle ausführliche Rezension. Ich find's super, dass du das Buch so unter die Lupe nimmst und nicht dem Hype hinterherrennst nach dem Motto "Was alle gut finden, darf man keineswegs kritisieren".
    Ich kann mich noch wage an dieses Buch erinnern- ich habe es, so glaube ich, mit 15 (?) gelesen und es war damals so ein richtiger Geheimtipp unter den Jugendbüchern und ich weiß noch, dass es mir nicht gefallen hat und Belly eine wahnsinnig nervige Protagonistin war.

    Ich liebäugle noch mit der Serie, da ich so Teenie-Drama eigentlich schon mag, eben weil es doch so oft oberflächlich und kitschig ist. Vielleicht ist in diesem Fall die Verfilmung wirklich besser als der Roman.

    Herzliche Grüße
    Elisa

    dielesende.blogspot.de

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