HANDLUNG Jeden Morgen pendelt Rachel mit dem Zug in die Stadt, und jeden Morgen hält der Zug an der gleichen Stelle auf der Strecke an. Rachel blickt in die Gärten der umliegenden Häuser, beobachtet ihre Bewohner. Oft sieht sie ein junges Paar: Jess und Jason nennt Rachel die beiden. Sie führen - wie es scheint - ein perfektes Leben. Ein Leben, wie Rachel es sich wünscht. Eines Tages beobachtet sie etwas Schockierendes. Kurz darauf liest sie in der Zeitung vom Verschwinden einer Frau - daneben ein Foto von "Jess". Rachel meldet ihre Beobachtung der Polizei und verstrickt sich damit unentrinnbar in die folgenden Ereignisse...
ERSTER SATZ Sie liegt unter einer Silberbirke bei den alten Gleisen unter einem Steinhügel.
MEINE MEINUNG Mit ein paar Freunden habe ich einen Buchclub gegründet. Gemeinsam wollen wir nun alle paar Monate das gleiche Buch lesen und uns im Anschluss darüber austauschen. "Girl on the Train" war der einstimmig angenommene Vorschlag unseres ersten Buches. In dieser Rezension, die von meinem sonst gängigen Muster gänzlich abweicht, sind Spoiler enthalten. Wer das Buch noch nicht gelesen hat, aber noch vorhat, sollte auf das Lesen eher verzichten.
Grundsätzlich habe ich mir von der Idee wirklich viel erwartet, denn an sich skizziert sich eine sehr spannende Geschichte: Das Leben der Protagonistin Rachel, die täglich mit dem Zug fährt, wird aufgemischt als sie erfährt, dass eine Frau, die sie jeden Tag bei einem Halt des Zugs sieht, verschwunden ist. Intensiver wird die Geschichte dadurch, dass Rachel aufgrund ihres starken Alkoholkonsums Erinnerungslücken hat, aber meint, die Frau in jener Nacht gesehen zu haben...
Rachel ist eine alleinstehende Frau, die in einer WG mit einer entfernten Bekannten lebt und dieser vorgaukelt, nicht arbeitslos zu sein. Zu Beginn der Geschichte ist Rachel seit mehreren Monaten ohne Arbeit, da ihre diese aufgrund ihres Alkoholproblems gekündigt wurde. Rachels' Vergangenheit war glücklicher: Einst lebte sie mit ihrem Ehemann Tom und dem Wunsch nach einem Kind in einem schönen Haus in der Nähe jener Zuggleise, auf denen sie nun jeden Tag nach London fährt, um ihre Lüge, dass sie dort noch arbeitet, aufrecht zu erhalten. Der Zug legt etwa auf Höhe ihres ehemaligen Zuhauses einen Halt ein. Jeden Tag kann Rachel also sehen, wie ihr Exmann Tom mit seiner neuen Frau Anna und deren gemeinsamen Kind nun das Leben hat, das sie sich einst so ersehnt und gewünscht hat.
Ein paar Häuser neben Tom und Anna leben Megan und Scott, die nach außen hin eine glückliche Beziehung führen: Scott ist beruflich erfolgreich und sichert die beiden finanziell ab, seit Megan ihre Kunstgalerie wegen mangelnden Interesses der Außenwelt aufgeben musste. Er wünscht sich ein Kind, während sie in ihrer eigenen Welt lebt und eigentlich gar nicht glücklich ist - mit ihrem Leben, ihrer Beziehung zu Tom und sich selbst.
Sehr negativ ist mir zunächst die fehlende Nähe zu den Charakteren aufgefallen. Selbst nach einem Viertel des Romans hatte ich das Gefühl, keine der beiden Charaktere, aus deren Sicht der Roman erzählt wird - Rachel und Megan - zu kennen. Darüber hinaus ist es sehr anstrengend, dass nicht nur die Erzählperspektive wirklich oft wechselt, sondern diese auch durch diverse Zeitsprünge durcheinandergebracht werden.
Das Thema Fehlgeburt und unerfüllter Kinderwunsch wird aufgegriffen. So sagt Rachel über den Versuch einer künstlichen Befruchtung: "Es war, wie alle zuvor gesagt hatten, ein höchst unerfreuliches und fruchtloses Unterfangen. Allerdings hatte uns nie jemand davor gewarnt, dass wir daran zerbrechen könnten. Doch genau das passierte. Genauer gesagt zerbrach erst ich daran und dann unsere Beziehung." Obwohl das, was Rachel darlegt, zu stimmen scheint, wird dem Leser suggeriert, die Beziehung zu Tom sei glücklich gewesen und nur das fehlende Kind habe das Glück zum Kippen gebracht. Rachel wird wie besessen von diesem Thema: "Was mir damals besonders übel aufstieß, war die Tatsache, dass es immer als mein Versagen angesehen wurde, als wollte ich uns beide enttäuschen. Allerdings gab es an Toms Zeugungskraft tatsächlich nicht das Geringste auszusetzen. Das zeigt letzten Endes auch die Geschwindigkeit, mit der er Anna geschwängert hat. Es war falsch von mir, von ihm zu verlangen, die Schuld mit mir zu tragen, es lag alles an mir."
Dass Tom mit Anna eine Affäre einging, als er noch mit Rachel zusammen war und Anna in dem Moment zu Tom zieht, als Rachel auszieht, zu diesem Zeitpunkt auch bereits schwanger ist, ging mir einfach nicht in den Kopf. Wie verletzend das für Rachel sein musste, nachdem sie jahrelang versucht haben muss, schwanger zu werden, führt dem Leser den ätzenden Charakter von Tom vor Augen. Die Alkoholsucht von Rachel gründet letztlich auf Toms' Unverständnis gegenüber ihrem unerfüllten Kinderwunsch und dem damit verbundenen Versagensgefühl: "Er begann, sich über mich zu ärgern. Es war ihm unverständlich, wie man etwas vermissen und um etwas trauern konnte, was man nie gehabt hatte. Ich fühlte mich in meinem Elend alleingelassen. Ich wurde immer einsamer und begann, ein bisschen was zu trinken, und irgendwann trank ich ein bisschen mehr und weil sich niemand gern mit Betrunkenen abgibt, versank ich umso tiefer in meiner Einsamkeit."
Rachel hat keine Aufgabe mehr im Leben. Sie wendet sich dem Alkohol zu. Als Frau hat sie das Gefühl, versagt zu haben. Sie hat keine Freunde und keinen Job und sagt selbst: "Seien wir mal ehrlich: Wertschätzung bekommen Frauen eigentlich nur für zwei Dinge - ihr Aussehen und ihre Mutterschaft. Was machte es mich also, wenn ich weder schön war noch Kinder bekommen konnte? Wertlos."
Megan hingegen ist sehr crazy und einem kommt der Gedanke, dass sie verrückt ist, mehr als einmal. Es fällt der Ausdruck, dass sie wie ein "aufgeregtes Kind auf Abenteuersuche" durch ihr Leben streift. Das trifft den Nagel ziemlich auf den Kopf. Megan hat ihren Bruder früh und auf tragische Weise verloren. Es deutet sich eine gewisse Abhängigkeit von ihm an.
Tom als Rachels' Exmann wirkt total liebevoll und ganz und gar nicht als der Mörder, der er dann letzten Endes ist. Es wirkt wie zwei verschiedene Menschen, was für mich überhaupt nicht zusammenpasst. Obwohl die Autorin mehrere Fährten legt und man als Leser immer wechselnde Verdächtige im Kopf hat, gelingt der Versuch nicht wirklich.
Als sich gegen Ende alles aufklärt, wird auch offengelegt, dass Tom Rachels' Alkoholsucht und die damit verbundenen Blackouts nutzte, um ihr vermeintliches Verhalten aufzuschwatzen, das sie jedoch nie an den Tag gelegt hat. Anna war mir so abnormal unsympathisch - sie beginnt eine Affäre mit einem verheirateten Mann, der offensichtlich in seiner ja "ach so glücklich" dargestellten Beziehung nur den Geschlechtsverkehr zu vermissen scheint - seine Frau ist zu sehr mit ihrer Trauer um den unerfüllten Kinderwunsch beschäftigt - und lässt sich dann schwängern, nimmt Rachel ihr komplettes Leben weg und ist dabei so durchsetzungsstark, dass es mich dann letzten Endes wirklich gewundert hat, dass Rachel und Anna Tom gemeinsam umbringen.
Ja, richtig gehört: Denn irgendwann kommt dann raus, dass Tom der Mörder von Megan ist. Sie hatten eine Affäre, Megan wurde schwanger, Tom war nicht gerade happy darüber und bringt sie dann mehr oder minder aus Wut um. Von der Geschichte hatte ich mir ein komplexeres Ende erwartet.
Im Gesamten baut sich die Geschichte viel zu langsam auf, nur um dann statt eines halbwegs überraschenden Endes eine neue Affäre offenzulegen - und eine weitere random Schwangerschaft. Die Geschichten der einzelnen Charaktere finden nicht zueinander, vielmehr hat lediglich Tom zu allen eine seltsame, erzwungen wirkende Verbindung.
Für mich war "Girl on the Train" eine einzige Enttäuschung. Zumal ich mir von einem "weltweiten Bestseller" viel mehr erwartet hätte. Dass Megan tot ist, wird durch den Prolog überdeutlich, weswegen die Überraschung zum Ende hin sich ohnehin in Grenzen hält, aber die Auflösung an sich wirkt unrealistisch und überdramatisiert.
Ich habe das Buch vor einigen Jahren gelesen und mir hat es richtig gut gefallen. Vermutlich fehlt mir aber auch der Vergleich zu anderen Thrillern (zählt dieses Buch dazu?). Aber gerade diese Perspektivenwechsel fand ich super und auch die Charaktere, da man einfach nicht mit ihnen sympathisieren konnte- sonst habe ich immer das Gefühl, das Autor*innen es immer darauf anlegen dass man alle Charaktere liebt (egal welches Genre).
AntwortenLöschenDa merkt man wieder wie verschieden Geschmäcker und Erwartungshaltungen sein können.
Liebe Grüße
Elisa
dielesende.blogspot.de