3. Dezember 2024

Rezension: "A Song to Drown Rivers" von Ann Liang


HANDLUNG China um das Jahr 500. Für die Menschen in Xishis Dorf ist die bezaubernde Schönheit der jungen Frau ein Segen, der ihrer Familie Wohlstand bringen wird. Doch Fanli, der Berater des Königs, sieht sehr viel mehr in ihr: Er bietet Xishi an, sie zur Spionin auszubilden. Denn der Herrscher des verfeindeten Nachbarkönigreichs Wu ist bekannt dafür, eine Schwäche für schöne Frauen zu haben. Xishi kann die Klinge werden, die ihn mit einem Stich ins Herz zu Fall bringt.
Xishi, die bei einem Angriff von Wu-Soldaten ihre Schwester verloren hat, ist ebenso fasziniert von Fanli wie von den Möglichkeiten, die er ihr bietet. Sie lernt von ihm alles, was sie für ihre Mission braucht – vor allem zu lügen und ihre wahren Gefühle zu verbergen. Nur einander können Fanli und Xishi nicht täuschen. Als sie schließlich an den Hof von Wu gelangt, steigt die anmutige Xishi schnell in der Gunst des feindlichen Herrschers auf. Doch mit jedem Tag wächst die Gefahr, enttarnt zu werden. Und das würde nicht nur ihren eigenen Tod bedeuten, sondern auch den des Mannes, den sie liebt …

ERSTER SATZ An dem Tag, an dem ich geboren wurde, stießen die Wildgänse vom Himmel herab, und die Fische sanken auf den Grund des Teichs und vergaßen zu schwimmen, so sagte man. 

Vielen Dank an den Droemer Knaur Verlag für die Bereitstellung dieses tollen Rezensionsexemplars!

»Wenn es deine Mission ist, den König zu verführen, dann wird es meine Mission sein, dich zu beschützen.«
MEINE MEINUNG A Song To Drown Rivers erzählt die Geschichte von der bildschönen Xishi, deren Anmut nahezu jedem Mann dem Kopf verdreht. Frei auf der Grundlage der chinesischen Sage von Xi Shi nacherzählt, entführt uns Ann Liang hier jedoch in keine Fantasywelt, wie ich erwartet hatte. Laut Sage lebte Xi Shi mehrere Jahrhunderte v. Chr., dementsprechend fällt die Einfachheit des Dorfes aus, in dem Xishi aufwächst. 

Xishi lebt im Königreich der Yue bei ihren hart arbeitenden Eltern. Der Hunger macht auch vor den Schönen keinen Halt, und so erzählt Xishi direkt zu Beginn, dass die Zeiten nach dem Krieg gegen die Wu hart und die Lebensmittel rar sind. Als der Berater des Königs Gouijan auftaucht, bietet er Xisihi eine Flucht aus dieser Welt: sie soll, ausgebildet von Fanli, am Hof der feindlichen Yue dem König dem Kopf verdrehen und so ihrem eigenen Königreich zu einem militärischen Rückschlag verhelfen. Die Aussicht, dass ihre Eltern bei dieser Vereinbarung versorgt sind, lässt Xishi mit pochendem Herzen zustimmen. Sie verbringt die folgenden Wochen abgelegen in den Bergen. Xishi und ihre Freundin und zukünftige Palastdame Zhengdan werden von Fanli und Luyi in königlichen Manieren und Kampfkunst ausgebildet.

Während das Cover und der Buchschnitt wirklich atemberaubend schön sind und der Titel des Buches den Leser ins Träumen versetzt, gelingt es Ann Liang auch mit ihrem poetischen, fast märchenhaften Schreibstil, den Leser in den Sog der Geschichte des antiken Chinas zu ziehen. Dennoch ist ihr Schreibstil stellenweise auch durchaus anstrengend zu lesen, und es braucht die ein oder andere Verschnaufpause, bevor die zahlreichen Vergleiche, Metaphern und Bilder wieder zum Lesen reizen. 

Überraschend große Zeitsprünge werden mit wenigen Sätzen abgetan. So bedarf es viel Aufmerksamkeit, die nur kurz genannten Zeitsprünge zu erkennen und zu verstehen. Ann Liang gelingt es gut, zum Ende eine überraschende Wendung einzuarbeiten, wenn auch das Ende an sich in Teilen vorhersehbar ist (vor allem für diejenigen, die die chinesische Sage kennen, auf der der Roman basiert). 

Zu behaupten, dass Xishi alles in die Hände fällt, wäre übertrieben, und doch hat sie es am königlichen Hof ihres Staatsfeindes verhältnismäßig leicht. Nach kurzer Zeit stehen andere Höflinge in ihrer Schuld, und Xishi weiß die Situation zu nutzen. Für einen als Romantasy beworbenen Roman habe ich mir unter beiden Elementen deutlich mehr erwartet. A Song to Drown Rivers ist kein Fantasyroman, sondern spielt zur Zeit des antiken Chinas. Wenn man von Xishis' übernatürlicher Schönheit absieht, gibt es keine wirklichen Anzeichen für Worldbuilding. 

A Song to Drown Rivers ist die Geschichte eines ärmlichen Dorfmädchens, die aufwächst, um ein Königreich zu stürzen. Aber für eine Geschichte, in der eine einzige junge Frau das feindliche Königreich mit ihrer Schönheit infiltrieren kann, und es in die Knie zwingen soll: Wo bleibt die ganze Handlung? Zwischen der tausendfachen Erwähnung von Fanlis' und Xishis' göttlichem Aussehen, zahlreichen Hyperbeln und Metaphern vom glitzernden Wasser bleibt wenig Zeit für politische Details oder die anfangs erwähnte Herzerkrankung von Xishi, die nach den ersten Kapiteln nie wieder erwähnt wird. Die Umsetzung der sehr vielversprechenden Idee ist verbesserungswürdig. 
  • Titel: 2/2
  • Cover: 3/3
  • Inhaltsangabe: 2/4
  • Idee: 4/4
  • Umsetzung: 2/4
  • Schreibstil: 4/5
  • Charaktere: 1/3
Vertrauen war so zerbrechlich; es dauerte Jahrzehnte, es zu festigen, nur Sekunden, es zerspringen zu lassen, und ein ganzes Leben, um es wieder zurückzugewinnen.
FAZIT Unter anderem mit der märchenhaften Sprache in A Song to Drown Rivers entführt Autorin Ann Ling den Leser in eine chinesisch anmutende Fantasiewelt mit beeindruckenden Details. Die junge Xishi ist in ihrem kleinen Dorf vor allem für ihre königlich anmutende Schönheit bekannt und wird vom Berater des Königs zu einer schwerwiegenden Mission auserwählt, um den Feind, das Königreich der Wu, endgültig zu stürzen. Was als sehr vielversprechende Idee beginnt, schwächelt in der Umsetzung. Dennoch bleibt A Song to Drown Rivers vor allem aufgrund seiner märchenhaften Sprache in Erinnerung und unternimmt einen gelungenen Versuch, den westlichen Leser nach China zu entführen.

18/25 - Ungewöhnlich bildliche Sprache für das Retelling einer chinesischen Sage. 
Neugierig geworden? 


Jetzt geht es ans Eingemachte: Ich nehme dich mit in die Tiefen der Geschichte und bespreche einige spannende Details. Aber Achtung: Ab hier wird gespoilert! Wenn du das Buch noch nicht gelesen hast, schau nächstes Mal wieder vorbei!

ANALYSE Fast noch mehr als das fehlende Worldbuilding schmerzt, dass der Anziehung zwischen Fanli und Xishi leider nicht nachgekommen wird. Anfangs entfaltet sich die vorsichtige Anspannung quälend langsam, aber der Leser hat Hoffnung: Xishi spinnst in Fanlis' Gemach und beobachtet, wie er Salbe auf seine Narben aufträgt; hilft ihm später dabei. Dass sie einander lieben, wird immer offensichtlicher, hat aber im Rahmen von Xishis' Auftrag keinen Platz. Irgendwann stehen sie einander im Palast der Yue gegenüber, schaffen es nur mit Müh und Not, ihre Gefühle füreinander unter Verschluss zu halten. Trotzdem passiert nichts. 

Als sie den Wu-König Fuchai küsst und dabei Fanlis' Namen murmelt, wird Fuchai misstrauisch. Er lässt Fanli in den Palast bestellen und verletzt ihn stark, will anhand von Xishis' Reaktion herausfinden, ob das Flüstern seines Namens wirklich nur ein Versehen oder aber eine Offenbarung war. Aus dem Missgeschick, so klischeehaft wie es ist, hätte man mehr herausholen können. 

Xishi befindet sich mehrere Jahre in Obhut von König Fuchai, der für seinen hohen Frauenverschleiß und seine Bordellbesuche bekannt ist. Und dennoch begnügt er sich damit, nachts an seine Konkubine Xishi gekuschelt einzuschlafen und sie zu küssen? Das wirkt unrealistisch, und hätte zudem ein sehr spannender Aspekt sein können: dass Xishi ihren Körper, ihre unangetastete Schönheit, für einen Mann aufgibt, den sie tief in ihrem Inneren hasst. Hätte sie danach vielleicht das Gefühl, dass er ihr etwas von ihrer Schönheit und ihrem Wert genommen hat?

Fuchai ist ein sehr spannender Charakter: Er ist sehr naiv und manipulierbar, lässt sich von Xishi überzeugen, die Staatskasse für einen neuen Palast, den Palast der schönen Frauen, zu leeren. Fuchai wird unvorsichtig. Was Liang sehr gut gelingt, ist, dass der Leser zum Ende des Romans, als sich Xishis' Auftrag dem feindlichen König offenbart, Mitleid mit Fuchai hat. Obwohl er die ganze Zeit darauf hinfiebert, dass Fuchai stirbt, baut Liang im Verborgenen ein Vertrauensverhältnis zwischen Fuchai und dem Leser auf. Sein Freitod ist unerwartet, aber auch Xishis' Reaktion darauf ebenso überraschend: Sie behauptet felsenfest, Fuchai zu hassen und ihm ihre Gefühle vorgespielt zu haben. Während ihrer Zeit am Palast jedoch gab es auch Momente, in denen dieser Hass von Dankbarkeit überschattet wurde. Denn Fuchai behandelt Xishi sehr gut, liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab und drängt sie zu Nichts. Wortwörtlich lässt er einen ganzen Fluss bauen, um ihren Wünschen nachzukommen. 

Das Potenzial der chinesischen Sage wird in meinen Augen nicht vollständig genutzt. Unter anderem die fehlende Charakterentwicklung, vor allem zwischen Xishi und Fanli, ist dafür einer der Hauptgründe. Beworben als Romantasy, kann der Roman auch dem zweiten Teil der Implizierung nicht nachkommen, denn Fantasy-Elemente suchen wir vergeblich. Mein erster Gedanke während des Lesens war: "Es könnte sich hierbei genauso um eine alte Legende aus China handeln." Und genau das ist es auch. Bis zum Schreiben der Rezension war mir nicht bewusst, dass es sich bei A Song To Drown Rivers um ein Retelling handelt - umso wichtiger, das als Leser bei den eigenen Erwartungen einzukalkulieren. 

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