BUCHREZENSIONEN. FILMKRITIKEN. ZITATESAMMLUNGEN.

13. Oktober 2023

ERSCHRECKENDE KONTROLLE IM BERUFS- UND PRIVATLEBEN: REZENSION “THE CIRCLE” VON DAVE EGGERS

 

HANDLUNG The Circle ist das weltweit größte Internet Unternehmen – Google, Facebook, Apple und Twitter, alles in einem – und auf dem Weg, ein alles überwachendes Netz zu erschaffen. In dieses Unternehmen steigt die 24jährige Mae ein und lernt nach und nach die Machenschaften ihres Arbeitgebers kennen.

ERSTER SATZ My God, Mae thought.

SPOILERWARNUNG Dieser Artikel befasst sich kritisch mit den Inhalten des Romans und enthält Spoiler. Bitte beachte, dass die Meinung in diesem Blogartikel individuell ist und auf meiner persönlichen Einschätzung basiert. Literaturgeschmack ist subjektiv, und andere Leserinnen und Leser können und werden den Roman anders wahrnehmen.

MEINE MEINUNG Dass dieser Roman so schleppend und deprimierend werden würde, hätte ich nicht erwartet. Seit vielen Jahren steht er nun im Regal und ich hatte 2019 sogar einmal mit dem Lesen begonnen. Mehr als hundert Seiten habe ich damals nicht gelesen, und habe meine Unlust auf die englische Ausgabe geschoben. Zwar habe ich mich dieses Mal für Deutsch entschieden, doch ist genauso wenig Lust auf die Geschichte aufgekommen wie damals.

TITEL Der Titel ist sehr passend gewählt. 2/2

COVER Ein herausstechendes Cover mit interessanter Farbwahl und dem Logo des Circle. 2/3

INHALTSANGABE Könnte man eine Inhaltsangabe weniger spannend gestalten? Tatäschlich passiert auch nicht bedeutend viel mehr als die Inhaltsangabe “verrät”. Es gibt keinerlei Höhe- oder Wendepunkte, sondern lediglich seitenlange Beschreibungen von irgendwelchen Events und Meetings, die die Welt zu digitalisieren versuchen. 0/4

IDEE Die Idee hat mich von Anfang an sehr überzeugt, vor allem im Hinblick auf das vielversprechende Schreckensszenario, das sich daraus zwangsläufig ableitet. Es war wirklich das einzige, was dazu motiviert hat, mich durch den Roman zu quälen. 4/4

UMSETZUNG Der Roman braucht mehrere hundert Seiten, um in die Gänge zu kommen. Erst ab der Hälfte wandelte sich die Qual in ein halbwegs interessiertes Vergnügen meinerseits, das darin wurzelte, endlich eine Handlung zu erwarten. Zig Seiten füllen den Raum und beschreiben die vermeintlich inspirierende, vor Ideen überquellende Umgebung des Unternehmens “The Circle”. Ich wurde enttäuscht. Die Handlung lässt sich, von deprimierenden sozialen Kontakten abgesehen, in einem Satz zusammenfassen. Die starke Kontrolle des Privatlebens durch den Circle hat mich zutiefst schockiert. Dass sich dem niemand zu widersetzen weiß, scheint mir unrealistisch. Die seltenen Aufbegehren gegen den Circle seitens von Politikern, die das Monopol öffentlich anprangern, verlaufen im Sand. 0/4

SCHREIBSTIL Der Schreibstil war lieblos und ohne einen Funken Empathie. Ich konnte dem rationalen Stil nicht ein einzigen Pluspunkt abgewinnen. 0/5

CHARAKTERE Es entsteht keinerlei Nähe zu den Charakteren, die allesamt blass und eher wie Marionetten wirken. Protagonistin Mae ist unfassbar naiv, fast dümmlich, und steuert so volle Kraft voraus ins Unglück, ohne auch nur ein einziges Mal ihr Gehirn einzuschalten. Als Hauptcharakter war sie mir ungefähr so sympathisch wie eine Scheibe verschimmeltes Brot, aber tatsächlich spiegelt ihr Verhalten die breite Masse wieder. Insofern kann ich im Ansatz nachvollziehen, weshalb Eggers ausgerechnet die gewöhnliche Mae als Hauptcharakter ausgewählt hat. Ihre Passivität ermöglicht die ganze Funktion des Romans. Es gibt, bis auf den bis in die Haarspitzen kritisierten Mercer, keine kritischen Stimmen bezüglich des Circle. In den finalen Zügen empfindet sich Mae als stark, entschlossen und loyal - ich musste laut auflachen, da diese drei Charaktereigenschaft genau das Gegenteil von dem sind, wie sie sich verhält. Mein größter Kritikpunkt an Mae ist, dass sie sich überhaupt nicht weiterentwickelt. Am Anfang ist sie ein schüchternes, naives Mädchen und am Ende brüstet sie sich voller Stolz damit, ihr Millionenpublikum toll zu unterhalten. Ihre gedankenlose Naivität ist kontinuierlich gleichbleibend und hat mir als Leser den letzten Nerv geraubt. Die Identität des“geheimnisvollen” Fremden ist von Anfang an überdeutlich. 0/3

GESAMTEINDRUCK Die gelungene, aktuelle Idee des Romans wandelte sich während des Lesens in eine deprimierende, unfassbar schlecht umgesetzte Geschichte. Flache Charaktere ohne jeden Hintergrund, ausbleibende Kritik am offensichtlichen Monopol des Circle und ausbleibende Handlung lassen jede Motivation des Lesers weichen. Der Ende des Romans bietet keinerlei Einsicht oder Wendung, sodass das Unternehmen seine Macht weiter ausbauen kann. Mich hat die Lektüre schwer enttäuscht zurückgelassen. Die Dialoge waren eine Zumutung und wirkte, als würden sich unzivilisierte Affen zum ersten Mal unterhalten. Komplett aus dem Zusammenhang gerissen, ohne jedes Mitgefühl, ohne jede Nähe. In meinen Augen wirklich absolute Zeitverschwendung.

Vielleicht wäre der Roman, wenn man ihn unter dem Kritikpunkt der selbstironischen Perspektive des Autor liest, erträglicher. Wenn der gesamte Roman als Parodie unserer manchmal zu engstirnigen Gesellschaft angesehen werden könnte, ließe sich darüber diskutieren, ob ich das Buch nochmal lesen würde. Der Guardian hat den Roman allerdings als "very funny" beschrieben. Wenn dieser Roman die gesellschaftlich akzeptierte Definition von lustig sein soll, fresse ich einen Besen. Die Dialoge waren so dermaßen zum Fremdschämen, dass jeder Witz an falscher Stelle gewesen wäre.

8/8 Von der Idee abgesehen das schlechteste Buch, das ich je gelesen habe.

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